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Von alten Säcken und alten Damen

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Es fällt der taz in letzter Zeit sichtlich immer schwerer, das eigene Niveau noch zu unterbieten, aber Matthias Lohre ist es diese Woche wieder einmal gelungen: Er hat einen Text verfasst, der so unterirdisch verblödet und so unglaublich schlecht recherchiert ist, dass man ernsthafte Zweifel hegen muss, ob Texte bei der taz einen redaktionellen Prozess durchlaufen, bevor sie freigeschaltet werden.

Eine „neue Form der Diskriminierung“ will der Kolumnist gefunden haben, eine, die er – offenkundig ganz ohne sich mühsam mit der Forschungsliteratur zu Diskriminierung zu befassen, mit inspiriert-beschwingtem Federstrich „Altersgeschlechtsdiskriminierung“ nennt. Und die treffe — wait for it — „ausschließlich Männer, alte Männer“.

Für eine derartig absurde Behauptung dürften die für gesellschaftliche Diskriminierung vermutlich überdurchschnittlich sensibilisierten LeserInnen der taz überwältigend überzeugende Belege erwarten. Und diese Erwartung wird umgehend mit einer Konsequenz enttäuscht, wie sie derzeit nur die taz an den Tag legen kann. Und da die Belege rein sprachlicher Natur sind, greife ich sie im Sprachlog kurz auf, obwohl Felis die wesentliche Antwort bereits geliefert hat.

[Hinweis: Der folgende Text enthält Beispiele sexistischer und altersdiskriminierender Sprache.]

„Es ist nämlich so“, erklärt Herr Lohre:

Nicht alle Menschen altern auf dieselbe Art. Frauen reifen im allgemeinen Sprachgebrauch nach und nach zu „alten Damen“. Männer hingegen werden bestenfalls „alte Männer“, häufig aber auch „alte Säcke“. Nur Kerle können alte Säcke werden. Das liegt den Schluss nahe, dass diese Bezeichnung etwas mit dem Geschlecht des Bezeichneten zu tun hat. Um ein alter Sack zu werden, braucht man also einen Hodensack. Das ist doch arg unfein.
Oder wäre es hierzulande kommod, eine nicht mehr junge Frau dafür zu schmähen, dass sie schon etwas länger lebt? Sicher, es gibt die Bezeichnung „alte Schachtel“, aber die klingt geradezu putzig.

Wie schon Felis kann auch ich das „putzige“ an alte Schachtel nicht entdecken. Schachtel ist ein derber, grob abwertender Ausdruck für „Vagina“, alte Schachtel wäre deshalb eher mit alter Schwanz gleichzusetzen als mit dem vergleichsweise harmlosen alter Sack, bei dem keineswegs klar ist, dass es sich auf den Hodensack bezieht (man vergleiche z.B. abfällige Ausdrücke wie Geldsack oder Pfeffersack).

Vor allem fällt aber auf, dass sich alte Schachtel in eine lange Reihe abwertender Ausdrücke für alte Frauen einreiht: angefangen mit dem auf die sexuelle Defektheit unverheirateter alter Frauen abzielende alte Jungfer über Ausdrücke wie alte Hexe oder alter Drache, die sich auf das vermeintlich herrische (ha!) Wesen alter Frauen beziehen, Ausdrücke wie alte Schraube und alte Schrulle, die deren Geisteszustand infrage Stellen, bis zu alte Schlampe und alte Vettel, die sich auf mangelnde Ordnung und Körperpflege beziehen. Dazu kommen eine Reihe von Wörtern aus dem Tierreich, die sich ebenfalls in diese Kategorien einordnen lassen: alte Ziege, alte Eule, alte Wachtel, alte Krähe, altes Suppenhuhn, alte Glucke, alte Kuh und alte Schabracke (‘Pferd’) oder Wörter für diverse Gegenstände, die auf Frauen angewendet meistens abwertend über deren Aussehen urteilen: alte Schrippe, altes Reff (‘Gerippe’), alte Scharteke (‘wertloses Buch’), altes Register und alte Schese. Und schließlich erhalten Verwandtschaftsbezeichnungen auf alte Frauen angewendet eine abwertende Bedeutung: altes Mütterchen, alte Tante , alte Oma. Nicht zu vergessen das alte Weib mit schönen Ableitungen wie Altweibergeschwätz, Altweibergewäsch, Altweibermärchen, usw.

Gegen diese lange Liste sieht das von Lohre dem alten Sack so durchsichtig merkbefreit gegenübergestellte alte Dame etwas einsam aus. Es ist aber natürlich sowieso nicht das Gegenstück zu alter Sack, sondern zu alter Herr. Auch die Liste von weiteren Ausdrücken für alte Männer liest sich erstaunlich kurz. Als da wären: alter Knabe und alter Kerl, die nicht besonders abwertend sind, das eher liebevoller alter Esel, sowie die abfälligen Ausdrücke alter Opa, alter Bock, und alter Knacker. Keiner davon bezieht sich auf das Aussehen oder die Hygiene alter Männer oder ihren Gemüts– oder Geisteszustand. Und bestenfalls alter Bock bezieht sich auf ihre Sexualität, wobei darin durchaus etwas Anerkennendes mitschwingt.

Ja, ich sehe da eine Altersgeschlechtsdiskriminierung, aber sie findet genau dort statt, wo sie zu erwarten wäre: In der Schnittmenge zwischen ohnehin diskriminierten Frauen und ohnehin diskriminierten alten Menschen. Ein Blick ins Wörterbuch hätte der taz und ihren LeserInnen also Lohres ganzen peinlichen Besinnungsaufsatz erspart.

Aber das ist ja nicht alles. Lohre hat noch mehr Belege:

Insbesondere ältere Männer, die sexuelles Interesse an jüngeren Frauen zeigen, handeln sich das Etikett „alter Sack“ ein. Früher galt Ähnliches für die Lust älterer Frauen. Das ändert sich. Begehrt heute eine ältere Frau einen jüngeren Mann, heißt das „Cougar Town – 40 ist das neue 20“ und läuft auf Sixx.

In der Tat, im amerikanischen Englisch gibt es den medial geschöpften Ausdruck Cougar für Frauen mittleren Alters, die auf sexuelle Abenteuer mit deutlich jüngeren Männern aus sind (medial geschöpft werden musste er deshalb, weil dieses Phänomen außerhalb der Medien eine eher marginale Rolle spielt).

Aber für den umgekehrten Fall von Männern mittleren Alters, die auf sexuelle Abenteuer mit deutlich jüngeren Frauen aus sind, gibt es natürlich ebenfalls ein Wort. Es lautet aber nicht, wie Lohre glaubt, alter Sack. Es lautet Mann, denn Männer müssen sich für ihre Sexualität nicht rechtfertigen.


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